Biografie

1890

Friedrich Jacob Kiesler wird am 22. September 1890 in Czernowitz (damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine) geboren. Sein Vater, Magistratsrat Dr. Julius Kiesler, ist für mehrere Jahrzehnte als Beamter im städtischen Dienst tätig und Sekretär der jüdischen Kultusgemeinde. Die Mutter, Rosa Kiesler, geb. Meisler, stirbt 1891, sodass Friedrich wohl vorwiegend in der geschwisterlichen Obhut seines neun Jahre älteren Bruders Emil und seiner 17 Jahre älteren Schwester Marie aufwächst.

1908

Nach Absolvierung der griechisch-orthodoxen Oberrealschule in Czernowitz zieht Kiesler für sein Studium nach Wien. Er bewirbt sich an der Akademie der bildenden Künste, wird aber abgelehnt. Daraufhin inskribiert er im Wintersemester 1908/09 an der Bauschule der k. k. Technischen Hochschule, wo er ein Jahr lang Architektur studiert. Der erneute Antritt bei der Aufnahmeprüfung an der Akademie im Jahr 1910 ist erfolgreich. Kiesler durchläuft dort insgesamt sechs Semester: zwei in der Allgemeinen Malerschule bei Rudolf Bacher und vier in der Spezialschule von Ferdinand Schmutzer (Kupferstecherei). Im Juli 1913 verlässt Kiesler die Akademie ohne Abschlusszeugnis.

1914

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird Kiesler zum Militärdienst eingezogen: Nach Absolvierung des Einjährig-Freiwilligen Jahrs wird er als Landsturm-Infanterist dem k. u. k. Infanterie-Regiment 95 beim Kommando des Kriegsvermessungswesens zugeteilt. Im September 1917 wechselt er ins Kriegspressequartier (Kunstgruppe).

1920

Am 19. August heiratet Friedrich Kiesler die 1897 in Skotschau (Schlesien, heutiges Polen) geborene Stephanie Frischer in der Wiener Synagoge.

1923

Der erste dokumentierte Arbeitsauftrag kommt aus Berlin, wo sich die Kieslers ab Herbst 1921 immer wieder für mehrere Wochen aufhalten. Friedrich Kiesler übernimmt die Bühnengestaltung von Karel Čapeks Stück W.U.R. (Werstands Universal Robots), das am 29. März 1923 im Theater am Kurfürstendamm seine deutschsprachige Uraufführung feiert. Die elektro-mechanische Kulisse und der Einsatz von Filmprojektion bringen ihm Anerkennung seitens der in Berlin versammelten internationalen Avantgarde und führen u. a. zur Bekanntschaft mit Theo van Doesburg, Hans Richter und Mies van der Rohe.
Um die Jahreswende 1923/24 zeichnet Kiesler auch für ein weiteres Bühnenbild verantwortlich: Eugene O’Neills Kaiser Jones am Berliner Lustspielhaus, inszeniert von Bertold Viertel.

1924

Im Auftrag der Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst in Wien organisiert und gestaltet Friedrich Kiesler die Internationale Ausstellung neuer Theatertechnik im Rahmen des Musik- und Theaterfestes der Stadt Wien. Er lädt VertreterInnen verschiedener Avantgarde-Bewegungen – von Bauhaus und De Stijl bis Konstruktivismus und Futurismus – ins Wiener Konzerthaus ein und vermittelt ihre Konzepte durch ein von ihm entwickeltes räumliches Präsentationssystem, dem sogenannten Leger- und Trägersystem. Außerdem erhält er die Möglichkeit, die Raumbühne als Modell einer Bühne der Zukunft im Maßstab eins zu eins bauen und bespielen zu lassen.

1925

In seiner Funktion als Kommissär der österreichischen Sektion der Exposition internationale des Arts décoratifs et industriels modernes in Paris lädt Josef Hoffmann Kiesler dazu ein, die österreichische Theaterabteilung zu gestalten. Wieder fällt Kiesler durch seine Präsentationsform auf: eine raumfüllende Struktur im Stil der holländischen Neoplastizisten. Als Raumstadt propagiert er sie daraufhin als Modell einer frei schwebenden Stadt der Zukunft, das zugehörige Manifest „Vitalbau – Raumstadt – Funktionelle Architektur“ publiziert er in den Avantgarde-Zeitschriften De Stijl und G.
Während seiner Zeit in Paris arbeitet Kiesler an weiteren Architektur-projekten: einem automatischen Theater ohne Schauspieler (Optophon-Theater), einem horizontalen Wolkenkratzer, einem Warenhaus in Spiralenform sowie am Konzept zur Umgestaltung des Place de la Concorde. Die Idee der Raumbühne weitet er zu einem sphäroidischen Theatergebäude aus: dem Endless Theatre.

1926

Kiesler wird von Jane Heap, Herausgeberin der Avantgarde-Zeitschrift The Little Review, eingeladen, mit ihr in New York eine internationale Theaterausstellung zu organisieren. Am 19. Jänner verlassen die Kieslers auf dem Schiff Leviathan Europa, bereits am 27. Februar eröffnet die International Theatre Exposition im Steinway Building. Kiesler kuratiert den europäischen Ausstellungsteil und zeichnet verantwortlich für die Gestaltung von Katalog und Plakat.
Gemeinsam mit der Schauspielerin Maria Carmi verkündet Kiesler die Gründung eines International Theatre Arts Institute, für das er ein Doppeltheater in Brooklyn Heights plant. Das Projekt wird nicht realisiert.

1927

Durch die Vermittlung der Kunstsammlerin Katherine Dreier, Mitbegründerin der Künstlerorganisation Société Anonyme Inc., wird Kiesler kurzzeitig im Architekturbüro Helmle, Corbett & Harrison tätig. Im Auftrag Dreiers zeichnet er außerdem Entwürfe für ein geplantes Museum moderner Kunst der Société Anonyme Inc. in Form eines 14-stöckigen Hochhauses mit modernster Beleuchtung und Lüftung.
Im August beginnt Stefi Kiesler, in der New York Public Library zu arbeiten. Sie arbeitet sich dort in den folgenden Jahren schnell hoch, holt die amerikanische Bibliothekarsausbildung nach und wird schließlich mit der Leitung der deutsch- und französischsprachigen Sammlungen im Hauptgebäude an der Fifth Avenue und 42nd Street betraut.

1928

Für das Warenhaus Saks Fifth Avenue gestaltet Friedrich Kiesler eine Reihe Schaufenster und bedient sich dabei eines vollkommen neuartigen Präsentationskonzepts.

1929

Am 1. Februar eröffnet das Film Guild Cinema, Kieslers erstes realisiertes Bauprojekt in Amerika, mit einer prominent besuchten Gala. Das Gebäude der Film Arts Guild im New Yorker Greenwich Village wird als „The First 100 % Cinema“ beworben: statt eines Vorhangs verkleidet eine wandfüllende Irisblende die Leinwand („Screen-o-scope“), die Projektion kann auf Decke und Seitenwände erweitert werden.

1930

Bei Brentano’s erscheint Kieslers Buch Contemporary Art Applied to the Store and its Display, in dem er seine Erkenntnisse zur Schaufenstergestaltung mit dem Propagieren moderner Kunst verbindet. Am bekanntesten sind zwar Kieslers Auslagen für Saks Fifth Avenue, allerdings nimmt er immer wieder Aufträge aus diesem Bereich an. Im Frühjahr 1930 arbeitet er etwa an der Umgestaltung des Buchgeschäfts B. Westermann Co., Inc.
Im März findet eine Ausstellung der AUDAC (American Union of Decorative Artists and Craftsmen) im Grand Central Palace statt. Kiesler, seit 1928 Mitglied, übernimmt die Gestaltung und zeigt eigene Möbelentwürfe, wie den Flying Desk. Er gründet seine eigene Designfirma Planners Institute Inc., die bis 1945 existiert. Von der University of the State of New York erhält Kiesler am 5. März die offizielle Architekten-Lizenz.
Von August bis Oktober reisen Stefi und Friedrich Kiesler nach Paris, um einerseits ihre sozialen Kontakte zum künstlerischen Avantgarde-Netzwerk aufzufrischen und andererseits ihre verlorengegangenen Lebensdokumente wiederzubeschaffen.

1931

Mit seiner Einreichung eines flexiblen Kulturzentrums gewinnt Kiesler im Herbst den Wettbewerb für ein Festivaltheater in Woodstock, New York. In der Konkurrenz kann er sich unter anderem gegen Frank Lloyd Wright durchsetzen. Das Projekt wird nicht ausgeführt.

1932

In der von Philip Johnson und Henry-Russell Hitchcock kuratierten Modern Architecture: International Exhibition im Museum of Modern Art New York ist Friedrich Kiesler mit Fotos des Film Guild Cinema vertreten.

1933

Im Sommer fährt Kiesler regelmäßig nach Chicago: Mit der dort ansässigen Firma Sears, Roebuck & Co. verhandelt er bereits seit 1931 über das Nucleus House, ein massenproduziertes modulares Einfamilienhaus, das als „Versandhaus“ [mail-order house] angeboten werden soll. In Chicago führt er außerdem Gespräche mit der Rembrandt Lamp Corporation, für die er Lampen entwirft.
Kiesler erhält den Auftrag, das Geschäftslokal der Modernage Furniture neu zu gestalten, und präsentiert im Zuge dessen in der großen Ausstellungshalle das begehbare Modell eines Einfamilienhauses. Das Space House weist erstmals in Kieslers Werk biomorphe Formen auf und markiert somit eine stilistische Kehrtwende. Seinen programmatischen Text „The Space-House. Annotations at Random“ publiziert er Anfang 1934 in Hound & Horn, worin er sein Einfamilienhaus-Modell zur Demonstration von „Time-Space-Architecture“ deklariert.
Im Herbst beginnt Kiesler eine Tätigkeit als Bühnenbildner an der Juilliard School of Music und wirkt dort in der Folge auch als Lehrender an der Fakultät für Theaterdesign. Dieses Beschäftigungsverhältnis, das Kiesler ein regelmäßiges Einkommen garantiert, wird bis zu seiner Pensionierung 1956 bestehen. Das erste Bühnenbild an der Juilliard School of Music entwirft Kiesler für die Oper Helen Retires (komponiert von George Antheil, Libretto von John Erskine), dessen Uraufführung im Februar 1934 stattfindet.

1935

Für die Neugestaltung von Jay’s Shoes gewinnt Kiesler den Preis für das beste Geschäftsdesign der Stadt Buffalo. Im September beziehen Friedrich und Stefi Kiesler das Penthouse mit der Adresse 56 Seventh Avenue, in dem sie bis an ihr Lebensende wohnen werden.

1936

Kiesler gestaltet die Wohnung des Ehepaars Charles und Marguerita Mergentime. Hierfür entstehen auch eigene Möbelkreationen, wie die Party Lounge, Bed Couch, und der mehrteilige Aluminium-Nierentisch Nesting Table.
Im Dezember erhält Friedrich Kiesler die amerikanische Staatsbürgerschaft, im Zuge dessen wird sein Name zu Frederick John Kiesler geändert.

1937

In der Architektur-Zeitschrift Architectural Record veröffentlicht Kiesler ab Februar eine Artikelserie unter dem Titel „Design-Correlation“, die er als „Kolumne zu Ausstellungsobjekten, Theater und Kino“ bezeichnet. Die Themen reichen von Marcel Duchamps „Das große Glas“ bis zu „Tiere und Architektur“.
Friedrich Kiesler wird eingeladen, ab Herbst an der School of Architecture der Columbia University zu unterrichten. Dort gründet er ein Laboratory for Design Correlation, als dessen Direktor er bis zur Auflösung im Jahr 1941 fungiert. Projekte im Rahmen dieser Tätigkeit sind die Mobile Home Library und die Vision Machine.

1939

In der September-Ausgabe des Architectural Record erscheint der Beitrag „On Correalism and Biotechnique. A Definition and Test of a New Approach to Building Design“, einer von Kieslers wichtigsten theoretischen Texten. Sein Buch Contemporary Art Applied to the Store and its Display erscheint in einer zweiten Auflage.

1941

Nach der Auflösung des Laboratory for Design Correlation beginnt Kiesler, an zwei Buchmanuskripten zu arbeiten: Das eine ist eine Abhandlung zum Correalismus (verschiedene Arbeitstitel: „On Correalism and Biotechnique“, „Vereinigte Staaten der bildenden Künste“), das andere trägt den Titel „Magic Architecture. Origin and Future. The Story of Human Housing“. Obwohl er in den folgenden Jahren daran schreibt, bleiben die Manuskripte unvollständig bzw. unveröffentlicht.

1942

Die Kunstsammlerin Peggy Guggenheim beauftragt Kiesler mit der Umgestaltung zweier ehemaliger Schneiderwerkstätten zu Galerieräumlichkeiten. Die Museums-Galerie Art of This Century umfasst vier Bereiche: „Surrealist Gallery“, „Abstract Gallery“, „Daylight Gallery“ und „Kinetic Gallery“. Kiesler hat die Möglichkeit, Erkenntnisse aus seiner Forschung am Laboratory for Design Correlation, insbesondere zur Vision Machine, in der Praxis zu erproben.

1944

Friedrich Kiesler arbeitet an zwei Ausstellungsgestaltungen: einer Ecology Exhibition im American Museum of Natural History sowie einem Teilbereich der Präsentation U.S. Housing in War and Peace des National Council of American-Soviet Friendship Inc., die in der Sowjetunion zur Förderung des interkulturellen Austauschs gezeigt werden soll. Beide Konzepte bleiben unrealisiert.

1945

André Breton bittet Kiesler, ein Layout für dessen Publikation Ode á Charles Fourier zu entwerfen.

1946

Kiesler erhält einen Auftrag aus der Off-Broadway-Szene: Für John Hustons Inszenierung von Jean-Paul Sartres Drei-Personen-Stück Huis Clos [Geschlossene Gesellschaft] am Biltmore Theatre zeichnet er für Bühnenbild und Lichtdesign verantwortlich. Seine Überlegungen hält er im Text „A Theatre for the Poet“ fest.

1947

Unter der Überschrift „Design’s Bad Boy” publiziert das Magazin Architectural Forum im Februar ein ausführliches Porträt über Kiesler.
In diesem Jahr ist Friedrich Kiesler maßgeblich an der Gestaltung zweier surrealistischer Ausstellungen beteiligt. Am 3. März eröffnet die von Nicolas Calas kuratierte Schau Bloodflames 1947 in der New Yorker Hugo Gallery. Kieslers Gestaltungskonzept inszeniert die Kunstwerke – beteiligt sind etwa Arshile Gorky, David Hare, Wifredo Lam und Isamu Noguchi – einerseits durch ihre Positionierung (auf dem Boden, an der Decke, schräg gestellt) und andererseits durch buntes Ausmalen der Räumlichkeiten.
Von Mai bis September hält sich Kiesler in Paris auf, wo ab 7. Juli die von André Breton und Marcel Duchamp initiierte Exposition Internationale du Surréalisme in der Galerie Maeght stattfindet. Zwei Bereiche (Salle de Pluie, Le Dédale) begleitet er als gestaltender Architekt, den dritten – Salle de Superstition [Raum des Aberglaubens] – konzipiert er auch inhaltlich. Kiesler nutzt die Gelegenheit, um die Vereinigung der Künste (Architektur, Malerei, Skulptur) zu veranschaulichen, und erschafft unter Mitwirkung von Roberto Matta, Joan Miró, Yves Tanguy u. a. ein Gesamtkunstwerk zum Thema Aberglauben. Genauere Ausführungen zu der von ihm verkündeten Vereinigung der Künste folgen in Kieslers wegweisendem „Manifeste du Corréalisme“, das zwei Jahre später in einer Sondernummer der Zeitschrift L’Architecture d’Aujourd’hui erscheint.
Kieslers Aufenthalt in Paris markiert den Beginn seines autonomen malerischen und plastischen Schaffens. In den folgenden Jahren porträtiert er mehrere KünstlerfreundInnen, darunter Marcel Duchamp, Hans Arp und Wifredo Lam, und bezeichnet die Werke als Galaxial Portraits.

1950

Um das Zusammenspiel von Architektur, Malerei und Plastik geht es auch in der Ausstellung The Muralist and the Modern Architect, die am 3. Oktober in der Kootz Gallery, New York, eröffnet: Jeweils ein Architekt und ein bildender Künstler arbeiten gemeinsam an einem Projekt, darunter Walter Gropius, Robert Motherwell und Marcel Breuer. Kieslers erstes Modell eines Endless House aus Ton wird zusammen mit einer Skulptur David Hares präsentiert. Die Zeitschrift Interiors druckt in der November-Ausgabe Kieslers reich illustrierten Artikel „The Endless House and its Psychological Lighting“ ab.

1952

Das Museum of Modern Art, New York, zeigt Kiesler in der Schau Fifteen Americans neben Positionen wie Mark Rothko, Jackson Pollock und William Baziotes. Seine skulpturale Galaxy, eine Konstruktion aus Holzbrettern und Baumwurzeln, war bereits 1948 als Teil des Bühnenbilds für Le pauvre matelot (Komponist: Darius Milhaud, Libretto: Jean Cocteau) an der Juilliard School of Music zu sehen. Für die Oper als einfache Fischerhütte konzipiert, erinnern die organischen Formen an Fischknochen und Gräten, der Einfluss des Surrealismus wird hier deutlich. Das Life Magazine veröffentlicht in seiner Mai-Ausgabe einen Artikel unter dem Titel „Meant To Be Lived In“ mit einer großen Fotografie, die Kiesler mit seiner Skulptur zeigt.
Eine ähnliche hölzerne Galaxy konzipiert Kiesler für den Architekten Philip Johnson. Sie wird vor dessen ikonischem Glass House in New Canaan, Connecticut, installiert, allerdings bereits 1956 durch Blitzschlag zerstört.
Im Herbst widmet das Museum of Modern Art, New York, den innovativen Architekturkonzepten Friedrich Kieslers und Richard Buckminster-Fullers eine eigene Ausstellung: In Two Houses: New Ways to Build wird das Endless House neben Fullers Geodesic Dome gestellt – beide werden zu Ikonen.

1954

In der New Yorker Sidney Janis Gallery präsentiert Kiesler eine Reihe gemalter Galaxies (27. September bis 19. Oktober). Eine ähnliche Auswahl wird Anfang 1955 im Museum of Fine Arts, Houston, gezeigt.

1955

Für das neu gegründete Empire State Music Festival in Ellenville, New York, baut Kiesler ein temporäres Sommertheater als Zirkuszelt. Sogar ein schweres Unwetter übersteht es heil, dabei angeschwemmtes Treibholz wird von Kiesler zu einer Kulisse für Shakespeares The Tempest weiterverarbeitet.
Im Sommer verbringt Kiesler mehrere Wochen im französischen Vallauris, wo er sich oft mit Pablo Picasso trifft und Skulpturen aus Keramik anfertigt. Die meisten seiner Plastiken, die ab Mitte der 1950er Jahre entstehen, lässt er allerdings in Bronze gießen, etwa Cup of Prometheus und Arch as a Rainbow of Shells.

1956

Kiesler wird bei zwei Architekturprojekten herangezogen, um bestehende Pläne zu überarbeiten: einem Bürogebäude (Stifel Buildung) und einer Wohnhausanlage (Washington Square Village Project). Es handelt sich auf den ersten Blick um vergleichsweise pragmatische Entwürfe, die allerdings im Detail seine visionären Ansätze erkennen lassen.
Im Laufe des Jahres beginnt Kiesler, Notizen zu Projekten, Bekanntschaften und Reisen unter dem Arbeitstitel „An Architect’s Diary“ zu sammeln. Bis zu seinem Tod entsteht eine Fülle an Material, das auch Gedichte und Zeichnungen umfasst. Das Buch erscheint posthum 1966 bei Simon and Schuster als Inside the Endless House: Art, People and Architecture. A Journal.

1957

Zusammen mit Armand Bartos gestaltet Kiesler im Auftrag des Entrepreneurs und Kunstsammlers Herbert Mayer Galerieräume im New Yorker Carlyle Hotel. Die World House Galleries, spezialisiert auf Kunst der klassischen Moderne, eröffnen am 22. Jänner mit der von Kiesler und Bartos kuratierten Schau The Struggle for New Form. Zwei visuell reizvolle Artikel erscheinen in Laufe des Jahres, die Kieslers Konzept erläutern: „Design in Continuity“ im Architectural Forum sowie „The Art of Architecture for Art“ in Art News.
Im Mai gründen Friedrich Kiesler und Armand Bartos das gemeinsame Architekturbüro „Kiesler and Bartos Architects“. Sie arbeiten u. a. an einem Strandhaus für Karl Robbins in West Palm Beach und einem Universitätskrankenhaus. Ihr bedeutendstes Projekt ist der Shrine of the Book in Jerusalem, eine Aufbewahrungsstätte für in den Höhlen von Qumran am Toten Meer gefundene alttestamentarische Schriftrollen. Im Herbst 1957 fliegen Kiesler und Bartos zu Erstgesprächen nach Israel, im Anschluss beginnen die langwierigen Planungsarbeiten.
Nach mehr als zwei Jahrzehnten und etwa 50 Bühnenbildern beendet Friedrich Kiesler im Juli seine Tätigkeit an der Juilliard School of Music und lässt sich pensionieren.

1958

Vom Museum of Modern Art erhält Kiesler die langersehnte Gelegenheit, sein Konzept eines Endless House praktisch umzusetzen, und zwar als lebensgroßes Modell im Garten des Museums. Neben einigen Entwurfszeichnungen und Plänen entstehen in den darauffolgenden Jahren insgesamt vier dreidimensionale Studien unterschiedlicher Größe. Das Eins-zu-eins-Modell wird letztlich nicht realisiert, Kieslers Studien werden dafür in der Ausstellung Visionary Architecture Ende 1960 präsentiert.
Für das Caramoor International Music Festival in Katonah, New York, soll Kiesler ein Sommertheater entwerfen. Die AuftraggeberInnen Walter und Lucie Rosen stellen dafür eine importierte venezianische Säulenkolonnade aus der Renaissance zur Verfügung, die zu einem Bühnenraum arrangiert werden.

1959

Kiesler reist im September zum Congress of Art and Architecture nach Brasilien, besucht Brasília und besichtigt in São Paulo die Biennale.
Von der Ford Foundation erhält er ein Stipendium für die Gestaltung eines Ideal-Theaters, wofür er seine frühere Idee eines Doppeltheaters aufgreift und weiterentwickelt. The Universal soll maximale Flexibilität bieten und durch ein zehnstöckiges Hochhaus mit Büros, Rundfunkstationen und Galerien ergänzt werden. Kieslers Pläne und sein Aluminium-Modell werden zwischen Januar 1962 und Januar 1964 neben sieben weiteren Konzepten in der von der American Federation of Arts organisierten Wanderausstellung The Ideal Theatre: Eight Concepts präsentiert.

1960

Der Fernsehsender CBS widmet Friedrich Kiesler am 20. März einen halbstündigen Beitrag im Rahmen der Sendung „Camera Three“.

1961

Leo Castelli zeigt in seiner Galerie die Ausstellung Shell Sculptures and Galaxies mit Malereien, Plastiken und verschiedenen Endless House-Studien Kieslers.
Mit Mary Sisler führt Kiesler Verhandlungen über die Errichtung eines Endless House in Palm Beach, Florida.
Die Zeitschrift Progressive Architecture veröffentlicht in der Juli-Ausgabe ein ausführliches Interview, das Thomas Creighton mit Friedrich Kiesler geführt hat.

1962

Kiesler schreibt eine Reihe Gedichte, die er unter dem Titel „Thirsty Paper“ sammelt, aber nicht veröffentlicht.
Nach den um 1960 entstandenen Shell Sculptures arbeitet Kiesler nun an der Werkgruppe der Landscape Sculptures (Earth Finger, The Marriage of Heaven and Earth, The Saviour has Risen).
Mit 31. Dezember wird das gemeinsame Architekturbüro mit Armand Bartos offiziell aufgelöst. Die Arbeiten am Shrine of the Book in Jerusalem werden getrennt weitergeführt.

1963

Im Auftrag Jane Blaffer Owens arbeitet Friedrich Kiesler an Plänen einer Grotto for Meditation (auch: Cave of the New Being) für die New Harmony Community in Indiana.
Stefi Kiesler stirbt am 3. September.

1964

Friedrich Kiesler erleidet im März einen Herzinfarkt. Am 26. März heiratet er die um 21 Jahre jüngere Lillian Olinsey, seine ehemalige Assistentin und langjährige Vertraute; Stefi Kiesler hatte ihm noch zu Lebzeiten dazu geraten.
Von Mai bis Juni zeigt das Solomon R. Guggenheim Museum die Ausstellung Frederick Kiesler. Environmental Sculpture. Kiesler arbeitet an einem skulpturalen Environment mit dem Titel Us, You, Me sowie einer raumfüllenden Plastik, die nach dem Pferd Alexanders des Großen Bucephalus benannt ist.

1965

Im April 1965 wird der Shrine of the Book in Jerusalem feierlich eröffnet und bringt Kiesler und Bartos die „Gold Medal of Honor in Design and Craftsmanship“ der „Architectural League of New York“ ein.
Am 27. Dezember 1965 stirbt Friedrich Kiesler in New York. Bei seinem Begräbnis sprechen u. a. René d’Harnoncourt, der Direktor des Museum of Modern Art, New York, und der Komponist Virgil Thomson. Das Juilliard String Quartet spielt eine Komposition Arnold Schönbergs. Robert Rauschenberg rollt einen Autoreifen durch das Kirchenschiff und bemalt ihn neben dem Sarg in Blau, Gelb, Grün, Weiß und Rot.